Max Liebermann
Restaurant „De oude Vink“, Leiden 1911
Signiert und datiert unten links: MLiebermann 1911.
Max Liebermann widmete sich seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts der Pastellmalerei. Nach der Jahrhundertwende entstanden aus Augenblicksbeobachtungen der aufstrebenden großbürgerlichen Gesellschaft vermehrt stimmungsvolle Pastellarbeiten. Insbesondere die ausgelassene Sommerferienwelt des modernen Lebens vor dem Ersten Weltkrieg wurde von dem Künstler in hellfarbigen, luftigen und vom Sonnenlicht durchfluteten Pastellen festgehalten.1 Sein Biograph, der Kunstkritiker Karl Scheffler, vermerkte im Katalogvorwort der ersten reinen Pastell-Ausstellung von Max Liebermann im Jahr 1927: „Die Anzahl dieser Arbeit ist groß. Sie alle haben einen eigenen Reiz von Unmittelbarkeit, von koloristischer Bestimmtheit und meisterlicher Beherrschung des Technischen. Eine Verklärung liegt über diesen Sommerbildern, es ist Sonne und ruhiges Glück und eine feine sinnliche Abstraktion darin. […] Denn es erzeugen die heiteren Werke, in denen die Wahrheit farbig aufglänzt, eine Stimmung, die etwas Rauschaftes hat. Nirgends erscheint das große und strenge Talent Liebermanns liebenswürdiger als in diesem Teil seines bewundernswürdigen Lebenswerks […].“2
Das Motiv von eleganten großstädtischen Menschen, die unter schattenspendenden Bäumen oder auf sonnigen Terrassen Ruhe und Zerstreuung finden, hat Liebermann über Jahrzehnte hinweg immer wieder gemalt und skizziert. Er selbst genoss die sorglose Stimmung in den Bier- und Kaffeegärten, wo er die Mußestunden des Großbürgertums für zukünftige Werke beobachtete.3 So zeigt auch das vorliegende virtuos gemalte Pastell, wie eine bürgerliche Besuchergruppe auf der Terrasse des Restaurantgartens De oude Vink4 eine Auszeit nimmt. Trotz genauester Beobachtung gibt Liebermann die Caféterrasse und ihr Publikum bewusst skizzenhaft wieder und reduziert das Dargestellte auf wenige Details. Nicht die Form, sondern die Farbe regiert das rasch gemalte, lichte Pastell. Mit Hilfe der Komplementärfarben Gelb und Blau gelingt es dem Künstler, die sommerliche und luftige Atmosphäre des idyllischen Ausflugslokals einzufangen. Die helle, vom Sonnenlicht erfüllte linke Hälfte des Werkes vermittelt mit ihren vereinzelten gelben Farbakzenten im Vorder- und Hintergrund die Hitze des Sommertages. Im Kontrast dazu verspricht die schattige rechte Bildhälfte mit dem dicht gestaffelten dunkelgrünen Baumbestand eine Abkühlung und Zuflucht vor den warmen Temperaturen. Durch das hell- und dunkelblaue Terrassenmobiliar wird die kühle und erfrischende Wirkung des Schattens weiter betont. Die blauen Nuancen in der linken Hälfte des Bildes deuten hingegen das angrenzende Gewässer und einen Bootssteg an. De oude Vink lag im 19. Jahrhundert an einer Biegung, an welcher der Korte Vliet-Kanal in den Rhein mündet und eine wunderschöne Aussicht auf die umliegende Flusslandschaft bot. Liebermann war von der Atmosphäre des bürgerlichen Ausflugslokals so beeindruckt, dass er es mehrmals besuchte und drei Gemälde von der populären Caféterrasse anfertigte. Das Restaurant selbst wurde 1945 zerstört und musste trotz Wiederaufbau im Jahr 1953 für immer schließen.5
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Kat. Ausst. „Nichts trügt weniger als der Schein“. Max Liebermann der deutsche Impressionist, Kunsthalle Bremen 1995–1996, München 1995, S. 11 ff.
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Ebd., S. 13.
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Ebd., S. 166.
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De oude Vink – „der alte Fink“ war im 19. Jahrhundert ein sehr beliebtes Ausflugslokal am südwestlichen Stadtrand von Leiden.
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Watling, Lucy: Was war „De Oude Vink“?, https://blog.liebermann-villa.de/oude-vink/.
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