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Eugen Bracht

* 1842 – † 1921

Felsland im Tessin, Studie

Öl auf Leinwand
294,6

Auf dem Keilrahmen vom Künstler bezeichnet: 2136. (Werknummer im Registerbuch Bracht)

Ein verregneter Sommer führte Eugen Bracht 1863 auf seiner zweiten Studienreise in die Schweiz, auf der er Carl Friedrich Harveng (1832–1874) begleitete, „zum ersten Mal, sozusagen aus Versehen, jenseits der Alpen“1: aus dem Linthal im Kanton Glarus über den Pragelpass nach Altdorf, von dort mit der Gotthard-Post ins Tessin und von deren Endstation in Airolo zu Fuß zunächst bis Bellinzona. Dessen weitläufige Befestigungsanlagen, die das Herzogtum Mailand seit dem 15. Jahrhundert gegen Norden, gegen die von den Eidgenossen gehaltenen alten Alpenpässe über den Sankt Gotthard und den San Bernardino hin sichern sollten, dürften im Mittelgrund angedeutet sein.2 Vor den Mauern breiten sich befestigte Wege und felsiges Terrain, zu Füßen des Betrachters von Figurengruppen bevölkert, in gleißendem Licht. Jenseits der Hangkante öffnet sich der Blick in die dunstig verhangene Ferne, auf die begrünten Hänge des nächsten Bergrückens im Gegenlicht. Ein Aufatmen, offenbar nicht nur ob des heiteren Wetters, materialisiert sich nachgerade in dieser Studie. Etliches ist nur angedeutet, spontane Pinselhiebe fordern die Imagination des Betrachters. Noch mehr fasziniert die Unbekümmertheit, mit der gerade in den Vordergrundpartien Pigment gegen Pigment steht, gebrochen und zueinander gezwungen erst auf der Leinwand, im Pinselstrich – weicher Ocker gegen schrilles Caput mortuum, gegen allerlei Derivate von hartem Weiß und Preußischblau. Kontrapunktisch antworten aus dem Hintergrund harmonisch auseinanderentwickelte Tonfolgen. Solche „Beleuchtungen gegen das Licht“ zu studieren, „das Entdecken der Veränderung aller Lokalfarben mit völlig neuen Palettenmitteln“ habe er, notierte Eugen Bracht in seinen Lebenserinnerungen, als „unendlich reizvoll“ empfunden und sich „als ein Farbensehender“ gefühlt.3 Derlei wurde seinerzeit nicht goutiert, Selbstzweifel und ein Karriereknick waren die Folge. Aufgewachsen in Darmstadt, hatte Bracht dort erste Förderer in August Lucas und anderen gefunden, war 1859 zu Johann Wilhelm Schirmer nach Karlsruhe gewechselt, 1861 dann nach Düsseldorf in der vagen Hoffnung, dort an der Akademie bei Hans Frederik Gude unterzukommen, und als daraus nichts wurde, hatte er es zeitweilig auf eigene Faust versucht. 1864 brach er sein Studium ab und nahm es erst zehn Jahre später auf Gudes Rat hin wieder auf. Altersmilde erinnerte sich Bracht später, „die guten Studien der letzten, 1863 (unternommenen) Reise […] – sie waren ihrer Zeit ein wenig voraus“: Gemeint sein dürfte damit auch unser Gemälde.4


  1. Theilmann, Rudolf: Die Lebenserinnerungen von Eugen Bracht, Karlsruhe 1973, S. 89–90.

  2. Großkinsky, Manfred: Eugen Bracht – Leben und Werk, in: Kat. Ausst. Eugen Bracht. Leben und Werk, Museum Giersch Frankfurt am Main 2005, Frankfurt am Main 2005, S. 162.

  3. Theilmann 1973, S. 153–154.

  4. Theilmann 1973, S. 154 und mit Bezug auf unsere Studie S. 265, Anm. 413.

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